Der finanz- und wirtschaftspolitische Korrespondent der „Welt am Sonntag“ Martin Greive hat in der Ausgabe vom 08.02.2015 einen Artikel geschrieben der wie folgt überschrieben ist:
„Das ausgerechnet die exportfreudigen Deutschen zu den größten Gegnern des Handelsabkommens zwischen EU und USA wurden, liegt gar nicht an TTIP – sondern an einer Kollektiven Grundskepsis“
Sein erster Satz beginnt mit Übertreibungen „Der Untergang des Abendlandes naht“ um die Leser einzustimmen. Die Anti TTIP-Stimmung wird als aufgereizt bezeichnet, in der eine sachliche Diskussion nicht möglich ist. „Jahrzehntelang galt in Deutschland der Konsens: Freihandel ist gut.“ Ja, das überrascht doch nicht, weil im Wesentlichen Deutschland die Spielregeln bestimmen konnte.
Und dann wird die Katze aus dem Sack gelassen: „TTIP, mehr Handel mit den USA, würde Deutschland noch stärker machen.“ Also es geht um mehr Stärke, um Machtgewinn! Aber wirkt sich Machtgewinn auch positiv auf den Lebensstandard der Bevölkerung aus? Können wir durch Machtgewinn den deutschen Armuts- und Billiglohnsektor – der in Europa beispielhaft ist – eindämmen? 8,50 EUR pro Arbeitsstunde schützt auch bei einem Vollzeitarbeitsplatz nicht vor Altersarmut. Oder können wir die drohende Altersarmut von künftig 40% Rentenbezieherinnen und Rentenbeziehern durch Machtgewinn zurückdrängen?
Der wirtschaftliche Nutzen eines Landes – so haben wir es in den vergangenen 20 Jahren lernen müssen – kann sich auch parallel zu wachsendem Niedriglohnsektor entwickeln. Wirtschaftswachstum und eine sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich ist kein Widerspruch. Die Folge ist politische Desinteressiertheit und Wahlverdrossenheit. Also ist wirtschaftlicher Nutzen – ohne näher bestimmt zu sein – erst einmal nichts allgemein Gutes, sondern es drängt sich die Frage auf: Wessen wirtschaftlicher Nutzen und wessen Machtgewinn sollen auf wessen Kosten wachsen? Unser Außenhandelsüberschuss zeugt davon, dass wir mehr für das Ausland als für uns arbeiten. Zu wessen nutzen? Auf wessen Kosten?
„TTIP … hört ein Deutscher die vier Buchstaben, denkt er nicht mehr an Exporte, neue Arbeitsplätze, höheres Wachstum, sondern an Chlorhuhn, von Chemikalien verseuchte Kosmetika und geheime Schiedsgerichte.“ Nun soll suggeriert werden, dass Exporte, neue Arbeitsplätze und höheres Wachstum gute Dinge sind. Aber noch mehr Exporte zu unserem Exportüberschuss bedeutet, dass wir noch mehr für andere statt für uns produzieren. Neue Arbeitsplätze bedeutet, dass noch mehr gearbeitet werden muss, obwohl es doch unter Ausnutzung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts das Ziel sein müsste mit weniger Arbeitszeit mehr oder wenigstens gleichviel zu produzieren. Und wird es sich um gute Arbeitsplätze handeln, die man gern annimmt? Und wem soll das höhere Wachstum nützen? Die Lohneinkünfte sind in den letzten 15 bis 20 Jahren durchschnittlich stagniert. Bedenken sind hier durchaus gerechtfertigt.
„Untersuchungen von Kulturforschern belegen das: Während Länder aus dem angelsächsischen Kulturkreis offen an neue Dinge herangehen, sitzt den Deutschen immer eine Grundskepsis in den Knochen.“ Selbst wenn das stimmt, ist das dann positiv oder negativ?
Aber dann kommt die Auflösung: „„Und wenn es einem gut geht, betrachtet man Neues mit Skepsis und möchte den Status quo bewahren“ sagt Brotbeck.“ Die berechtigten Verlustängste (Verschlechterung von Verbraucherschutz, Arbeitsschutz, Arbeitsrecht, Nahrungsmitteln, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) werden substanzlos heruntergespielt. Die versteckte Botschaft kann man hören: Sei kein Feigling und gehöre nicht zu den Angsthasen, sei ein mutiger TTIP-Befürworter!
„Viele Standards in den USA sind höher als in Europa.“ Na wenn dem so ist, dann sollten wir doch die jeweils höchsten Standards zu TTIP-Standards machen. Doch davon habe ich noch nichts gehört oder gelesen.
Ich habe in dem ganzen Artikel kein gutes Argument gelesen, welches die Befürchtungen der TTIP-Gegner entkräften würde. Aber die TTIP-Gegner werden als Angsthasen verunglimpft.
10.02.2015 Bernd Trete