Oliver Hirschbiegel zeichnet in „Elser: Er hätte die Welt verändert“ den oft als Eigenbrötler hingestellten Attentäter als lebensfrohen Handwerker und linksdenkenden Freigeist
Mutigen Widerstand als einzelner leistete Georg Elser, der, ohne Verbindung zu anderen Gruppen, am 8. November 1939 versucht hatte, Hitler während der traditionellen Gedenkveranstaltung im Münchner Bürgerbräukeller durch Zündung einer Zeitbombe zu töten.
Mehr konnte ein Schüler um 1990 nicht aus seinem Schulbuch[1] über Georg Elser erfahren – nur ein einziger Satz war dem wohl intelligentesten und erfolgreichsten Widerstandskämpfer gegen den brutalsten Diktator in der Geschichte der Menschheit gewidmet. Elser verfehlte sein Ziel, Hitler und seine Führungsriege (Heß, Himmler, Goebbels und Bormann) zu töten, nur um 13 Minuten. Ein französischer Beobachter staunte angesichts des aktuellen Elser-Films, dass dieser Mann so unbekannt geblieben war, in Frankreich hätte man in jedem Dorf eine Straße nach ihm benannt. Vielleicht ändert dieser Film unser Bild des Widerstandes gegen die Nazis.
Bedrückende Folterszenen
Die Stimmung des Films Elser – Er hätte die Welt verändert ist nach der Einstiegssequenz von Bombenbau und Festnahme Elsers, genial gespielt von Christian Friedel, zweigeteilt: Düster bedrückende Verhöre kontrastieren scharf mit fröhlich-bunten Rückblenden in die schwäbische Dorfidylle. Eine freilich trügerische Idylle, in die sich langsam Hakenkreuzfahnen einschleichen. Es wird gezeigt, wie eine Dorfgemeinschaft mit Filmvergnügen, Bratwurst und Tanzmusik gleichschaltet wird. Aber nicht „ohne erkennbaren Widerstand“ (wie eine Elser-Filmkritik im „Spiegel“ behauptet), sondern gegen Protest und Kampf von Links. Erst als die kommunistischen Freunde Elsers ins KZ verschleppt wurden, konnten die Nazis die Macht übernehmen.
Es ist dennoch eine Heimatfilm-Kulisse, vor der Elsers Persönlichkeit geschildert wird, seine Romanzen mit einigen Frauen, besonders der verheirateten Elsa (Katharina Schüttler), sein Leben als Handwerker, Musikant und Kämpfer an der Seite der Kommunisten gegen langsam die Oberhand gewinnenden Nazis. Hier leistet der Film dringend nötige Aufklärungsarbeit, denn bislang wurde Elser oft als quasi „unpolitischer“ Einzelgänger hingestellt. Elser war ein geselliger, linksorientierter Freigeist, der mit dem Rotfrontkämpferbund der KPD sympathisierte.
Noch 2004 lieferte der ZDF-Fernsehprofessor Guido Knopp in seiner aktuell mehrfach wiederholten Doku-Reihe „Sie wollten Hitler töten. Teil 1: Der einsame Held“ das Elser-Bild eines unnahbaren Einzelgängers, der zwar für die Sache der Arbeiter ficht, aber „ihre Parteien“ angeblich meidet. Die politisch verzerrte ZDF-Darstellung walzt breit den Nutzen aus, den Hitler daraus zog, den Anschlag knapp überlebt zu haben, und diffamiert Elser sogar als „Eigenbrötler“ (Knopp). Hirschbiegel räumt mit solch despektierlichen Mythen auf und zeigt deutlich, was dem Historiker Knopp scheinbar entging: Elser agierte allein und stellte sich in den Gestapo-Verhören als Einzelkämpfer dar, um Freunde und Familie zu schützen.
Korrektur von „Der Untergang“
Oliver Hirschbiegels international sehr erfolgreicher Film „Der Untergang“ hat in Deutschland berechtigte Kritik auf sich gezogen, weil er sich zu sehr auf die menschliche Ebene beschränkte. Nazi-Täterfiguren, speziell der von Bruno Ganz verkörperte Hitler, wurden dem Zuschauer nahe gebracht, ohne angemessen auf ihre Schuld und die politischen Hintergründe zu verweisen.
Das will Hirschbiegel offenbar in seinem neuen Film ganz bewusst vermeiden, vielleicht einen Gegenpunkt zum „Untergang“ setzen, ohne sich untreu zu werden. „Elser“ erinnert auch an Das Experiment, das bekannte Frühwerk von Oliver Hirschbiegel, mit seiner differenzierten Zeichnung von Tätern wie Opfern und quälender Nahaufnahme der Folterszenen.
Hirschbiegel hat in „Elser“ unterschiedliche Täterkonzepte geschaffen, ein ganzes Spektrum von Mitläufern, Karrieristen, Sadisten, das uns hilft, die Psychologie der Nazis besser zu verstehen. Das Verhör führt hauptsächlich der Kripo-Chef Arthur Nebe. Er wird von Burghart Klaußner als ambivalente Figur dargestellt, die sich sowohl von Elser wohldurchdachter Tat beeindruckt zeigt, wie von seinem Charakter und der Begründung, die er für seinen Widerstand gibt. Nebe foltert kontrolliert und zweckdienlich unter medizinischer Aufsicht, um sein Opfer nicht unplanmäßig früh zu töten. Er konfrontiert Elser mit den zufälligen Opfern des Bombenanschlags, setzt ihn moralisch unter Druck.
Nebes jüngerer Vorgesetzter, der Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann von Bülow), ist ein Nazi durch und durch, ein psychopathischer Sadist, der Nebe für zu weich hält. Elser schweigt trotz brutaler Folter, redet erst, als die Nazis seine engste Familie verschleppen und schließlich unterschwellig drohen, seiner Verlobten ebenfalls Gewalt anzutun. Während Nebe den Anschein von rechtmäßiger Polizeiarbeit wahrt, kennt Sadist Müller keine Grenzen.
Daneben zeigt der Film Mitläuferfiguren, besonders die Protokollantin, die ihren Job wie eine Maschine erledigt und bei Folterungen routinemäßig draußen im Gang ihr Buch liest, während die Schmerzensschreie durch die Tür dringen. Elser bittet sie in einem unbeobachteten Moment, seine Mutter zu informieren, was mit ihm geschehen ist. Man erfährt jedoch nicht, ob sie dieser menschlichen Bitte entspricht. Am Ende steckt sie dem Gemarterten doch wenigstens, vielleicht als letzten Trost, ein Foto seiner Geliebten aus der Akte zu, bevor Elser zur Hinrichtung ins KZ geschleppt wird.
Widerstand totgeschwiegen
Im Westdeutschland des Kalten Krieges wurde der Widerstand totgeschwiegen oder herunter gespielt, besonders der Widerstand von Links, denn der Erzfeind war wieder der Kommunismus. Von den Nazi-Verbrechen wollte man bis zu den Auschwitz-Prozessen (Im Labyrinth des Schweigens) wenig wissen. Mehr Aufmerksamkeit bekamen auch später die gutbürgerlichen Jugendproteste der „Weißen Rose“ (die Geschwister Scholl gelten als häufigste Namensgeber deutscher Schulen), die harmlosen „Edelweißpiraten“, der stramm-nationale „Kreisauer Kreis“ (der nach Hitlers Beseitigung auf die Demokratie verzichten wollte, nicht aber aufs von den Nazis besetzte Sudetenland) und vor allem die hochgelobten Attentäter vom Stauffenberg-Anschlag des 20.Juli 1944.
Vergleicht man die den Kreisauern nahestehende 20. Juli-Gruppe mit Georg Elser, so fällt vor allem der Zeitpunkt ihres Attentats ins Auge: Erst als Deutschland den Krieg absolut sicher verloren hatte, Abermillionen bereits massakriert waren, schritten sie zur Tat. Dann ihre Motivation: Sie planten einen Militärputsch, wollten nach Hitlers Tod in einer Allianz mit den Westalliierten weiter gegen die Sowjetunion Krieg führen, das Massenmorden an den verhassten Kommunisten bis zum Endsieg fortsetzen. Schließlich ihre Ausführung: Die edelste Elite des deutschen Militärwesens versagte dabei, die Sprengwirkung ihrer Bombe richtig zu planen.
Der einfache Schreinergeselle Georg Elser plante klüger. Nur hatte er im Gegensatz zu den vielgepriesenen Attentätern des 20.Juli keinen Zugang zu Hitlers engerem Kreis, zu seinen Planungen und Örtlichkeiten. Für ihn war bereits die Beschaffung des Sprengstoffs eine lebensgefährliche Sache, der Bau des komplizierten Zünders eine technische Meisterleistung, die Auswahl des Ortes ein Geniestreich. Seine Bombe hätte Hitler sicher und einige weitere Massenmörder wahrscheinlich getötet – jedoch nur wenige weitere (einfache) Nazis. Nachdem Hitler den Sprengort völlig überraschend 13 Minuten zu früh verließ, kamen bei der Detonation nur sieben seiner Anhänger und eine Kellnerin ums Leben.
Doch Hirschbiegel will mit seiner Regiearbeit nicht nur in heroischer Vergangenheit schwelgen, sieht Bedarf an Widerstand nicht nur gegen historisch belegte Staatsverbrechen. Der Regisseur verwies in einem Interview auf Edward Snowden als aktuelles Beispiel für die von Elser verkörperte Zivilcourage und Weitsicht.
Das gefällt nicht jedem. Eine ZDF-Filmkritik wiegelt den Vergleich als „Scheinaktualisierung“ ab und zeigt damit bestens, wie nötig dieser Film ist. Elser wird im Film von Nazi-Bonzen „Arroganz“ vorgeworfen, die Vermessenheit alleine entscheiden zu wollen, dass falsch ist, was ein ganzer Apparat für richtig hält. Genauso, fast wortgleich, empörte sich der NSA-Boss gegen den NSA-Whistleblower Snowden.