Brisante Dokumente zum Freihandelsabkommen TTIP: EU-Bankenlobby will harte US-Finanzmarktregeln aushebeln

Von | 12. November 2014

Die geheimen TTIP-Verhandlungen werden im Interesse von multinationalen Konzernen geführt. Die Interessen von kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen sind offenbar nicht identisch mit Verbraucherinteressen (s. Interview):

Brisante Dokumente zum Freihandelsabkommen TTIP EU-Bankenlobby will harte US-Finanzmarktregeln aushebeln

Es ist ein entscheidender Weg für den EU-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht. Endlich – so wurde ihm zugesichert – darf er die neuen, geheimen Verhandlungspapiere zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP einsehen.

Sie liegen hinter dieser Tür, in einem Hochsicherheitsraum. Verschlossen für die Öffentlichkeit und die meisten Parlamentarier. Vorher muss er sich noch einer Sicherheitsprüfung unterziehen. Wir dürfen nicht mit hinein.

Weil das Fernsehen dabei ist, ist man hier nervös. Immer wieder erscheinen Sicherheitsleute. Dann die Überraschung.

Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter, Bündnis 90 / Die Grünen: „Also ich habe jetzt die aktuellen Verhandlungsdokumente nach der letzten Verhandlungsrunde nicht einsehen dürfen, weil das Parlament, jedenfalls die Dienste hier, der Meinung sind, dass ich nicht die Erlaubnis habe, sie zu sehen. Obwohl ich nach den letzten Verhandlungsrunden als Berichterstatter für den Innen- und Justizausschuss immer diesen Zugang hatte. Das scheint mir jetzt verwehrt worden zu sein.“

Reporter: „Hat die EU auch was zu verstecken? Oder die Kommission?“

Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter, Bündnis 90 / Die Grünen: „Die EU-Kommission hat mit Sicherheit nicht den Wunsch, dass all das, was sie da an Meinungen vertritt, im Rahmen der TTIP Verhandlungen gleich an die Öffentlichkeit gerät.“

Die gute EU, die böse USA. Das war bisher das Bild. Ausgerechnet die EU will aber gute Standards unterlaufen, in den USA. Denn die EU pocht auf weniger Regeln für Banken. Wir bekommen mehrere Dokumente zugespielt. Es sind Unterlagen, die mit „Vertraulich“ und „nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet sind – „restricted“. Sie zeigen, die EU setzt sich massiv für ihre Banken ein.

Wir schauen uns das Papier mit einer Mitarbeiterin von Finance Watch an, die nicht prinzipiell gegen TTIP sind. Aber:

Charlotte Geiger, Finance Watch: „Hier wenig später ist die Rede davon, dass halt keine Regeln eingeführt werden sollen, die letztendlich die Markteilnehmer beeinflussen in ihrem Geschäft. Diese berühmt berüchtigte Formulierung, die dürfen nicht belastender als nötig sein. Und von daher ist es für uns wirklich eine sehr, sehr fraglicher Schritt zu einer weiteren Liberalisierung, gerade im Bereich der Finanzmärkte.“

Kann es sein, dass ausgerechnet die EU die Banken wieder von der Leine der Regulierung lassen möchte?

Die EU will anscheinend die strengeren US-Regeln nicht. Die USA haben nach der Finanzkrise gehandelt. Banken müssen Privatkunden und Spekulationsgeschäft trennen, mehr Eigenkapital vorhalten und dürfen weniger mit riskanten Finanzprodukten handeln.

Hier in den USA treffen wir den ehemaligen US-Handelsminister Mickey Kantor. Er verteidigt die strenge amerikanische Bankenregulierung und warnt vor der EU.

Mickey Kantor, ehem. US-Handelsminister: „I think it’s important that the Europeans come up to the US-standard. The US doesn’t hold a standard in other areas, and we need to come up to the European standards, environment, food, food-safety and so on. On the other hand I believe it’d be hopeful if the Europeans would agree to raise their standards in their banking system.“

Ich denke, es ist wichtig, dass die Europäer die US-Standards annehmen. Die USA haben geringere Standards in anderen Bereichen, und da müssen wir uns anpassen, Umwelt, Lebensmittelsicherheit und so weiter. Andererseits wäre wirklich zu hoffen, dass die Europäer höhere Standards für ihr Bankensystem akzeptieren.“

Nach der Finanzkrise und der Pleite der Lehman Bank in New York haben die USA mit dem Dodd-Frank-Act und der so genannten Volcker-Regel umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um eine erneute Finanzkrise zu vermeiden.

Warum wollen die EU-Banken sich nicht anpassen? Der Grund ist einfach: sie machen weniger Profite dadurch. Eine der größten ausländischen Banken in den USA kommt aus Deutschland: Die Deutsche Bank. Und die Deutsche Bank hat wegen neuer schärferer Finanzmarkt-Regeln schon Verluste gemacht, musste Rückstellungen für Anwälte bilden, sie fürchtet Klagen.

Der Globalisierungskritiker Marcus Henn hat Dokumente zusammengetragen – sie zeigen: die europäischen Bankenverbände haben massiv in Brüssel und Berlin Druck gemacht, um sich gegen die US-Regeln zu wehren.

Markus Henn, WEED Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e.V.: Also auch der deutsche Bankenverband hatte sich eben bei dieser Anhörung der Kommission, was man denn da in dem möglichen US-EU-Abkommen dann haben will, 2012 geäußert und hat dann hier seine Kommentare geschickt. Und da kann man dann aber sehen, was alles aus ihrer Sicht zu burdensome, also zu belastend ist für ihre Klientel. Da listen sie eben hier auf, wie dieser Dodd-Frank Act, also das große US Finanzgesetz von 2010, in seiner Umsetzung ganz verschiedene negative Wirkungen aus ihrer Sicht hat.“

Das wollen wir überprüfen und fragen beim deutschen Bankenverband nach. Hier räumt der Hauptgeschäftsführer ein.

Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer Bundesverband deutscher Banken: „Wir haben gerade in dem Verhältnis Europa zu den USA doch noch einige Unterschiede. Diese Unterschiede einzuebnen, nach Möglichkeit zu beseitigen, wäre sehr gut, weil es auch die Zugangshürden für die Bank im jeweils anderen Land begrenzt.“ 

Reporter: „Aber wünschen würden sie sich doch eher die Europäische?“

Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer Bundesverband deutscher Banken: „Ich bin kein absoluter Fan der amerikanischen Regulierung, weil sie einige Ecken und Kanten hat, die schwer passen, die auch nicht auf das europäische Bankensystem passen, so wie es gestrickt ist.“

Die Bankenverbände scheinen erfolgreich bei TTIP Einfluss genommen zu haben. Wir finden weitere Belege. So schreibt der britische Bankenverband TheCityUK offen:

Der EU Kommissionsvorschlag sei so nah an ihren eigenen Vorschlägen, als käme er direkt aus unserer TTIP-Broschüre.“

Die EU-Staaten sind sich einig, wie wichtig es ist, große internationale Banken zu haben. Wie sie dieses Ziel bei den TTIP Verhandlungen verfolgen, zeigen weitere vertrauliche Dokumente, die uns zugespielt werden. Hier üben die Mitgliedstaaten sogar noch Druck auf die EU-Kommission aus und fordern, bei „Finanzdienstleistungen […] einen harten Verhandlungskurs“ und dass „nicht vorzeitig das Handtuch geworfen werden solle“.

Die Sorgen um den Einfluss europäischer Banken bei TTIP wachsen. Auch bei der Direktorin der größten Verbraucherschutzorganisation der Welt in Washington.

Lori Wallach, Direktorin Public Citizen Foundation: „It’s a push down agreement, it’s to push down the higher standards on either side of the Atlantic. So European food standards, European consumer privacy standards, US financial regulations, that’s the goal. And so if that’s the goal and that’s the engine, the kind of agreement that consumer groups on either side of the Atlantic want is not on the table unfortunately.“

Dieses Abkommen soll Standards senken auf beiden Seiten des Atlantiks. Die europäischen Nahrungsmittelstandards, europäischer Verbraucherschutz, die amerikanischen Finanzregeln – das ist das Ziel. Und wenn das das Ziel ist, dann ist das nicht die Art von Vertrag, den die  Verbraucher auf dem Verhandlungstisch haben wollen.“

Doch gerade beim Finanzmarkt wäre das fatal. Der letzte Banken-Crash hätte beinahe zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft geführt.

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