Freier Handel oder freie Menschen?

Von | 28. Dezember 2014

Freier Handel oder freie Menschen?
Quelle: http://publik.verdi.de/2014/ausgabe-08/gesellschaft/meinung/seite-15/A2

Mit zahlreichen Freihandelsabkommen wollen die Großinvestoren, also Milliardäre oder milliardenschwere Fonds, aus EU und USA ihre Regierungen hinter sich bringen und ihre Reihen dichter schließen. Es ist schon kurios: Gerade die sogenannten reichsten Regionen der Erde zeichnen sich dadurch aus, dass sie die größte soziale Ungleichheit und Armut hervorgebracht haben und durch ihre Art zu wirtschaften immer noch weiter verschärfen. Vier Millionen Bürger/innen im reichen Großbritannien sind darauf angewiesen, an den Food Banks der Kirchen Lebensmittel zu ergattern. Immer mehr Suppenküchen und „Tafeln“ sind nötig in den USA, in Deutschland und dem rest­lichen freien Westen, damit Niedriglohn-Familien, Arbeitslose, Rentner und Migranten nicht verhungern. Was soll dabei herauskommen, wenn solche Staaten und Regionen sich durch sogenannte Freihandelsabkommen noch enger zusammenschließen?

Denn eine wesentliche Absicht dieser Abkommen ist es, einseitig die Rechte der Kapitaleigner noch weiter zu stärken. Vor privaten Schiedsgerichten sollen Investoren klagen können, wenn ihnen durch staatliche Maßnahmen die erwarteten Gewinne eingeschränkt werden könnten, sei es durch Mindestlöhne, Tarifver­träge, Steuern, Lebensmittelkontrollen oder Umweltauflagen. Die Schiedsgerichte tagen im Geheimen. Anwälte aus internationalen Wirtschaftskanzleien, die ohnehin als Unternehmenslobby agieren, spielen Richter. Staaten, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen dürfen gar nicht klagen, denn in den Abkommen spielen ihre Rechte keinerlei verteidigenswerte Rolle. Diese einseitigen Investor-Staat-Schiedsverfahren unterlaufen zudem die bestehenden Rechtssysteme. Demokratisch handeln hieße, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Rechte der Gewerkschaften und Bürgerinitiativen ausbauen statt sich einem privaten globalen System zu unterwerfen, das durch nichts demokratisch legitimiert ist.

Die TTIP-Befürworter versprechen mehr Arbeitsplätze. Aber was sollen das für Arbeitsplätze sein? Dazu gibt es keine Aussagen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht auch beim Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) nirgends auf der Tagesordnung. Arbeitsplätze, so wird suggeriert, kommen irgendwie von selbst, wenn es mehr Handel gibt. Das Gegenteil ist aber der Fall, wie bisherige Erfahrungen zeigen. Zum Beispiel das Nordamerikanische Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada (Nafta), das 1994 in Kraft trat: Der Handel stieg an, aber gut bezahlte Arbeitsplätze bei General Motors und Chrysler wurden vernichtet und in Niedrigstlohngebiete hinter der mexikanischen Grenze ausgelagert, wo zu einem Fünftel des zuvor in Detroit gezahlten Lohns malocht wird. Die auf die Straße gesetzten Arbeiter in den USA mussten sich ebenfalls zu niedrigeren Löhnen verdingen. Das US-Agrarbusiness überschwemmt seitdem Mexiko mit billigem Mais und machte schon eine Million Bauern dort arbeitslos. In beiden Staaten steigt mit Nafta die Armut. Kanada wurde zur Wildwest-Fracking-Zone, US-Investoren zerren Kanada wegen Umweltauflagen vor Schiedsgerichte.

Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, SPD, verweist darauf, dass beim TTIP die Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO eingehalten werden sollen. Zu den Kernnormen gehören bekanntlich die freie Bildung von Gewerkschaften (Koalitionsfreiheit) und ihr Recht auf kollektive Tarifverträge. Doch nirgendwo in bisherigen Vertragsentwürfen findet sich irgendetwas von demokratischen Prinzipien, Menschen- und Arbeitsrechten, die die Vertragspartner einzuhalten hätten. Und wer würde annehmen, dass die USA die ILO-Kern­normen ausgerechnet jetzt ratifizieren, nachdem sie sich seit Jahrzehnten weigern?

Zeitgleich mit den Freihandelsabkommen stellt die Unternehmerseite über die ILO das Streikrecht weltweit grundsätzlich infrage. Das wurde in den Medien und auch von den Gewerkschaften bisher kaum zum Thema gemacht. Die Arbeitgeber argumentieren: In der ILO-Norm Nr. 87 sei zwar die freie Bildung von Gewerkschaften als Recht anerkannt, das aber keineswegs das Recht auf Streik in sich berge. Außerdem wollen sie dem Experten-Komitee, das bisher jährlich die schlimmsten Fälle von Verstößen gegen Arbeitsrechte auflistet, diese Kompetenz entziehen.

Keines unserer drängenden Probleme wird durch die Handelsabkommen angepackt: Lohnerhöhungen und Stärkung der Massenkaufkraft, neue und sichere Arbeitsplätze, Abbau der Armut, Bekämpfung der milliardenschweren Steuerflucht, Sicherung und Ausbau der Sozial- und Rechtssysteme und der öffentlichen Infrastruktur – und nicht zuletzt die Verteidigung des Streikrechts. Stoppt TTIP, CETA, TISA – wir haben wirklich Wichtigeres zu tun!