Freihandelsabkommen TTIP kostet jeden EU-Bürger bis zu 5000 Euro

Von | 17. November 2014

… wer hätte das gedacht …

Quelle: http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa/4594224/Freihandelsabkommen-TTIP-kostet-jeden-EUBurger-bis-zu-5000-Euro

Attac Österreich bezieht die Daten zur Entwicklung nach dem in Kraft treten des TTIP aus einer Studie der US-amerikanischen Tufts University in Massachusetts. EU-Studie „unrealistisch“.

Wien. Das zwischen der EU und den USA geplante Freihandelsabkommen TTIP würde in Europa 600.000 Arbeitsplätze kosten und zu Einkommensverlusten in Höhe von 165 bis zu 5.000 Euro pro Person und Jahr führen. Zu diesem Ergebnis kommt laut Attac Österreich eine aktuelle Studie der US-amerikanischen Tufts University in Massachusetts. Auch Steuereinnahmen und Wirtschaftsleistungen würden erheblich schrumpfen.

„Die Studie belegt, das TTIP nicht nur ein Angriff auf soziale Standards, Arbeitsrechte, Umweltschutz, nachhaltige Landwirtschaft und Demokratie ist. Die Mehrheit der Menschen würde mit TTIP zugleich einen Verlust an Wohlstand hinnehmen müssen“, warnte Alexandra Strickner von Attac Österreich am Donnerstag in einer Presseaussendung.

Kritik an EU-Studie

Die Ergebnisse der Studie basieren demnach auf dem Global Policy Model (GPM) der Vereinten Nationen. Im Gegensatz dazu würden die bisher von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studien auf unrealistischen Annahmen basieren, so Strickner. Die verwendeten Modelle, die ein Wachstum von 0,05 Prozent pro Jahr errechnen, stammen aus den 1980er und 1990er Jahren. Sie gehen davon aus, dass „wettbewerbsfähige“ Wirtschaftssektoren, die von einer Marktöffnung profitierten, alle entstanden Verluste in den anderen schrumpfenden Sektoren kompensieren, kritisiert Strickner. Dies würde auch für verlorene Arbeitsplätze gelten: Solange die Löhne nur niedrig genug seien, würde jeder Arbeitnehmer in einem andern Sektor eine neue Stelle finden.

Dies würde aber den Erfahrungen der letzten Jahre in Europa widersprechen. „Wirtschaftssektoren, die einem plötzlich verschärften internationalen Wettbewerb mit ungleichen Bedingungen ausgesetzt sind, schrumpfen weitaus schneller als dies von anderen Sektoren aufgefangen werden kann. Zudem können steigende Löhne im Exportsektor den Verlust an Binnennachfrage (aufgrund sinkender Löhne in der Mehrzahl der Sektoren) nicht ausgleichen“, so Strickner. Gerade vor dem Hintergrund der europäischen Kürzungspolitik und seit Jahren sinkender Binnennachfrage würde ein weiterer Druck auf Löhne die Rezession in Europa vertiefen.

Die einzigen Gewinner von TTIP werden laut der US-Studie die Kapitalisten sein. Während sich der Anteil der Arbeitseinkommen am BIP vermindern wird, werde sich der Anteil von Gewinnen und Zinsen am Gesamteinkommen erhöhen. „Es wird zu einem Transfer von Arbeits- zu Kapitaleinkommen kommen“, so Studienautor Jeronim Capaldo. Bezeichnender Titel der TTIP-Studie: „Europäische Desintegration, Arbeitslosigkeit und Instabilität“.

Deutliche Tansfers von Arbeits- zu Kapitaleinkommen

Zu den größten Einkommenstransfers dürfte es demnach in Frankreich kommen, wo 8 Prozent des BIP vom Arbeits- zum Kapitaleinkommen verschoben werden. In Großbritannien wären es 7 Prozent in Deutschland und Nordeuropa 4 Prozent.

TTIP würde in Europa innerhalb eines Jahrzehnts auch zu geringeren Exporten führen. Die größten Verluste würden die Länder Nordeuropas mit einem Exportrückgang von 2,07 Prozent des BIP erleiden, gefolgt von Frankreich mit minus 1,9 Prozent und Deutschland mit minus 1,14 Prozent sowie Großbritannien mit minus 0,95 Prozent.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde sich in den nördlichen Ländern um 0,50 Prozent, in Frankreich um 0,48 Prozent und in Deutschland um 0,29 Prozent vermindern.

Das geplante Freihandelsabkommen würde auch zu geringeren Arbeitseinkommen führen. Mit den größten Verlusten müssten Arbeitende in Frankreich mit 5.500 Euro pro Kopf und Jahr rechnen, in Nordeuropa wären es 4.800 Euro, in Großbritannien 4.200 Euro. Die Arbeitenden in Deutschland würden jährlich 3.400 Euro pro Kopf weniger verdienen.

TTIP könnte in Europa zu rund 600.000 weniger Jobs führen. Auch hier wären die nordeuropäischen Volkswirtschaften am stärksten betroffen. Sie müssten mit einem Verlust von 224.000 Jobs rechnen, gefolgt von Deutschland (-134.000 Jobs), Frankreich (-130.000 Jobs) und Südeuropa (-90.000 Jobs).

Steuerausfälle

Unter TTIP würden in Europa auch die Einnahmen der Staaten leiden. Indirekte Steuern wie Mehrwertsteuern würden in allen EU-Ländern sinken, am stärksten in Frankreich (-0,64 Prozent des BIP). Auch die Staatsverschuldung würde in allen EU-Ländern steigen.

TTIP würde in Europa laut Studie auch zu größerer finanzieller Instabilität und Anhäufung von Ungleichgewichten führen. Realistischerweise müsse man annehmen, dass Profite und Investitionen (vorwiegend in Finanzanlagen) durch steigende Vermögenspreise aufrecht erhalten werden. „Das Potenzial für makroökonomische Instabilitäten dieser Wachstumsstrategie ist gut bekannt“, warnt Studienautor Capaldo.

„Unsere Annahmen weisen auf trostlose Aussichten für EU-Entscheidungsträger hin“, so Capaldo. Sie seien nicht nur einer höheren Verletzlichkeit gegenüber allen aus den USA kommenden Krisen ausgesetzt und unfähig, eine budgetäre Expansion zu koordinieren, sondern es blieben ihnen auch nur sehr wenige Optionen, um die Wirtschaft zu stimulieren.

Keine Wachstumsstrategie für die EU

Capaldo zieht zwei allgemeine Schlüsse aus seiner Studie: Die derzeitigen TTIP-Verhandlungen bieten keine geeignete Basis für bedeutende Handelsreformen. Vielmehr würden bei der Anwendung von gut anerkannten aber unterschiedlichen Modellen dramatisch veränderte Ergebnisse herauskommen.

Zweitens wäre die Suche nach höheren Handelsvolumen für die EU keine geeignete Wachstumsstrategie. Im derzeitigen Umfeld von Sparmaßnahmen, hoher Arbeitslosigkeit und geringem Wachstum würde die Erhöhung des Druckes auf Arbeitseinkommen nur weitere wirtschaftliche Aktivitäten schaden. „Unsere Resultate zeigen, dass ein gangbarer Weg, um das Wirtschaftswachstum in Europa wieder anzukurbeln, auf einer starken Politik zur Unterstützung von Arbeitseinkommen liegt“, so Capaldo.

Die US-Studie im Internet:

Kurzfassung: http://ase.tufts.edu/gdae/Pubs/wp/14-03CapaldoTTIP_ES.pdf

Langfassung: http://ase.tufts.edu/gdae/Pubs/wp/14-03CapaldoTTIP.pdf

(APA)